Die Möglichkeit der online Bewerbung ist für den Arbeitssuchenden bequemer und
einfacher als der klassische Weg über eine Bewerbungsmappe. Das führt, ebenso wie die
Verknappung von Arbeitsplätzen, zu einer wachsenden Zahl von Initiativbewerbungen.
Die umworbenen Unternehmen sind in einem Dilemma. Auf der einen Seite existiert der Wunsch,
die beste Human Ressource zu verpflichten, auf der anderen Seite steigt aber der Aufwand zur
qualifizierten Bearbeitung (Analyse) der eingehenden Bewerbungen.
Dort, wo erfahrene Spezialisten gesucht werden, kann man die Meßlatte der erforderlichen Qualifikationen
sehr hoch hängen und damit weniger geeignete Kandidaten von einer Bewerbung abhalten.
Wie aber findet man die High-Potentials, die ihre Qualifikationen
erst noch entwickeln sollen?
Die ideale Lösung wäre, wenn sich der Auswahlprozess ganz oder teilweise
automatisieren ließe. Naheliegen ist, die Interaktivität des Internets zu
nutzen und die Hilfsmittel onlinefähig zu machen, deren man sich auch bei der
klassischen Personalauswahl bedient. So lässt sich nahezu jeder psychologische Test
onlinefähig machen. Doch ist zu beobachten, dass die Bereitschaft zur Teilnahme an
einem Test mit der Tiefe des Tests deutlich abnimmt. Niemand offenbart sich gerne gegenüber
dem anonymen Web. Es besteht eine diffuse Angst, dass die Daten missbraucht werden
könnten.
Zudem haben psychologische Tests Grenzen. Ein Nachteil ist, dass sie bekannt und
erlernbar sind. Pfiffige Bewerber machen sich daher vorher schlau und trainieren die Antworten.
Ein weiterer Nachteil ist, dass sie gewissermaßen chirurgisch präzise einzelne Aspekte
der Persönlichkeit verifizieren. Durch die gezielte Fragestellung wird immer nur eine
einzelne Eigenschaft der Person untersucht. Die so gewonnenen Ergebnisse sind ohne Zweifel
korrekt, sagen aber wenig oder gar nichts über das Verhalten der Person in
Konfliktsituationen.
Wie verhält sich die Person, deren psychologische Untersuchung sowohl eine moralische
Überzeugung, als auch große Loyalität offenbart, wenn sie in eine Situation kommt,
wo die Loyalität einen Verstoß gegen die Moral verlangt?
Menschen haben in jeder Situation einen enormen Handlungsspielraum. Es ist eine Frage von Vorerfahrung, Gewohnheit, Einstellung
und Intelligenz, diesen entsprechend zu nutzen. Der Extrovertierte sollte gelernt haben,
dass es manchmal klüger ist, sich nicht in den Vordergrund zu spielen. Der Loyale kann
auch egoistisch sein, der Führungsstarke sich einer gemeinsamen Sache unterordnen.
Diese Fähigkeiten treten im Arbeitsalltag oder im Rollenspiel zu Tage. Das macht die
Assessment Center so wertvoll. Der Korrelationskoeffizient, der die Übereinstimmung
zwischen der AC-Bewertung und dem tatsächlichen beruflichen Erfolg misst, liegt mit
0,7 relativ hoch, nicht zuletzt deswegen, weil die im AC zu lösenden Aufgaben zum
großen Teil aus der beruflichen Praxis stammen.
Ein online Recruitment Tool muss die Motivation erzeugen, sich diesem Test zu stellen.
Daraus entstand der Gedanke, Recruitment und Entertainment zusammenzuführen. Es wurde
der Begriff des Recruitainments geboren. Ziel des Recruitainments ist es, dem Bewerber -als
Gegenleistung für seine bereitwilligen Auskünfte- Unterhaltung in Form eines Spieles
zu bieten. Ziel eines Recruitment-Tools sollte es sein, die Kandidaten in ein Rollenspiel zu
bringen, wie es im klassischen AC üblich ist.
Bei der Idee für 'Top-of-the-Job' standen deshalb die Frage der Motivation und der
Praxisrelevanz im Vordergrund. Die Frage:
Wie motiviert man die Bewerber für einen Test?
wurde wie folgt beantwortet: Ein Bewerber möchte eine Arbeitsstelle und er möchte dort
Karriere machen. Es ist daher sinnvoll und konsequent, die Bewerber an dieser
Stelle abzuholen und ihnen die Möglichkeit zu einer virtuellen Karriere zu geben. Damit ist
auch die zweite Frage, die der Praxisorientierung, beantwortet.
Die Interaktivität einer Software bietet, im Gegensatz zum starren Muster eines
Fragebogens oder einer Postkorbübung, die Möglichkeit, die Fragen von den vorherigen
Antworten abhängig machen. Entscheidet sich ein Kandidat für den Marketingbereich,
wird er ausschließlich mit Situationen konfrontiert, die in diesem Bereich relevant sind.
Die Abbildung berufsrelevanter Situationen bedingt auch, dass die Aufgabenstellungen nicht
grundsätzlich ohne den entsprechenden Skill bearbeitet werden können. Damit erweitert
sich die Validität des Testes von einem reinen Persönlichkeitstest zusätzlich
auf Fragen des Job-Skills, schränkt ihn aber auch auf eine Benutzergruppe ein. Sehr
deutlich ist bei den bisherigen Auswertungen zu sehen, dass die Gesetzmäßigkeit
gilt, wonach jedermann so lange aufsteigt, bis dass er sein persönliches Maß an
Inkompetenz erreicht hat.
Top-of-the-Job wurde flexibel gestaltet. Unabhängig von der Programmlogik, die den
Ablauf des Spieles und die Auswertung beinhaltet, lassen sich die Aufgaben beliebig gestalten.
So können neue Tätigkeiten und Aufgaben definiert und hinzugefügt und alte
geändert, oder entfernt werden.
Das ganze virtuelle Unternehmen kann vollständig ersetzt werden, um anderen Anforderungen
gerecht zu werden. So können z.B. ein virtuelles Versicherungsunternehmen,
eine Bank oder einen Handwerksbetrieb mit den jeweils typischen Tätigkeiten und Anforderungen
abbildet werden.
Realisierung der Spiel-Idee
Am Anfang steht eine Liste aller relevanter Jobs, die es im Unternehmen gibt. Statt Jobs
könnte man auch Aufgaben, Tätigkeiten oder Berufsbilder sagen. Es gilt, diese vollständig
zu erfassen.
Dann wird ein Organigramm erstellt, das die Abhängigkeiten der Jobs zueinander bzw.
zu den Abteilungen und Bereichen festlegt. Abschließend ist für jeden Job die Dauer
der Ausübung in Jahren, die Ausstattung (z.B. Firmenwagen) zu definieren und, vor allem,
der Level festzulegen.
Im zweiten Schritt werden jedem Job beliebig viele Aufgaben zugeteilt, die der Kandidat/die
Kandidatin in diesem Job zu erledigen hat. Zu jeder Aufgabe müssen 2-5
Lösungsmöglichkeiten angeboten werden und jeder Lösungsmöglichkeit
sind 0, 1 oder 2 Punkte zuzuordnen. 0 Punkte ist gleichbedeutend mit der denkbar schlechtesten
Lösung; 2 Punkte = beste Lösung. Selbstverständlich haben gleichwertige
Lösungen die gleiche Punktzahl.
Was schlecht oder gut, richtig oder falsch ist, wird aus der Sicht des Unternehmens
entschieden. Bei dieser Bewertung werden ausschließlich die Unternehmensziele und
deren Erreichung betrachtet. Letztlich wird jeder Lösungsmöglichkeit noch ein
Kommentar (Feedback) zugeordnet.
Damit ist die Datengrundlage für das 'Spiel' gegeben.
- In Abhängigkeit von dem zuvor erfragten Ausbildungsstand, wird der Einstiegslevel
des Kandidaten festgelegt. Sodann stellt sich der Spielzyklus wie folgt dar:
- Das Kandidat erhält eine Auswahl von Jobs verschiedener Bereiche, die alle seinem
Level entsprechen. Er muss sich für einen dieser Jobs entscheiden.
- Er bekommt eine zusätzliche Information über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
(Relevant ist dies nur für Aufgaben in der Führungsetage; die Aufgaben des Pförtners sind
unabhängig von der Konjunktur).
- Sodann beginnt der innere Zyklus, in dem der Kandidat mit den Aufgaben dieses Jobs
konfrontiert wird.
- Hat er sich per Multiple Choice für eine Lösung entschieden, erhält er ein
Feedback, in dem die Vor- und Nachteile seiner Entscheidung aufgelistet sind.
- Sobald er alle Aufgaben erledigt hat, wir eine Bilanz über die Performance in
diesem Job gezogen. Dazu wird das arithmetische Mittel der in den Aufgabe erreichten
Punkte gebildet. Der Kandidat erhält eine textliche Fassung seines Abschneidens in der Form von:
"ausgezeichnet" bis "schlecht" gemacht.
- In Abhängigkeit
von der Performance wir wird der Level des Kandidaten eine Stufe angehoben, bleibt gleich
oder er wird zurückgestuft. Dann beginnt der Zyklus von vorn.
Bekanntlich gibt es keine Regel ohne Ausnahme, daher sind im Folgenden die
Ausnahmesituationen aufgelistet. Der Spielzyklus wird unterbrochen durch:
- Kündigung seitens des Kandidaten (andere Interessen)
- Kündigung seitens des Unternehmens (unakzeptables Verhalten)
- Erreichung des Rentenalters von 65 Jahren
- Erreichung der höchsten Position
Sprünge entstehen durch:
- Die sofortige Versetzung in einen anderen Bereich (ungeeignet)
- Fehlenden Background bei der Bewerbung um einen Job
- Überspringen einer Aufgabe als Folge der vorherigen Auswahl
- Eine Aufgabe kann ggf. erneut gestellt werden, wenn sie unbefriedigend angegangen wurde
Jede einzelne Antwortmöglichkeit wird auf insgesamt sechsundzwanzig verschiedene
Kriterien hin untersucht. Es wird festgestellt, ob das Kriterium (Persönlichkeitsmerkmal)
für diese Antwort Relevanz besitzt und wenn ja, wie die Antwort zu bewerten ist. Dies
geschieht auf einer Skala von 1 bis 9. Für jedes Merkmal gibt es eine sinusförmige
Verhaltenskurve, an deren Enden die Extreme stehen.
Als Beispiel sei hier das Kriterium "Ehrgeiz/Motivation" gewählt. Die Skala
geht von:
"unzufrieden" über "anspruchsvoll" bis hin zu
"genügsam" und "nicht motivierbar"
Diese Einteilung lässt sich als Kurve darstellen.
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extrem | | | |
neutral | | | |
extrem |
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Die sechsundzwanzig Kriterien sind:
- Ehrgeiz, Organisationstalent, Beharrlichkeit, Mobilität, Kontaktfähigkeit,
Kompromissbereitschaft, Anpassungsfähigkeit, Vertrauen, Regelgenauigkeit, Weitsicht,
Kreativität, Risikobereitschaft, Pragmatismus, Dynamik, Belastbarkeit,
Harmoniebedürfnis, Selbstsicherheit, Initiative,
- Kostenbewusstsein, Loyalität, Sorgfalt,
- Wissbegierde, Teamfähigkeit, Aufgeschlossenheit, analytisches und
komplexes Denken
Für die Auswertung sind die Kriterien in drei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe
beschreibt Eigenschaften, die nicht generell gut oder schlecht sind. Eine Bewertung kann
nur im Zusammenhang mit der Aufgabe vorgenommen werden. Die zweite Gruppe wird
zusammengefasst und Absoluter-Skill genannt, weil diese Eigenschaften unabhängig
von der Aufgabe erwünscht sind. Die dritte Gruppe bildet den Soft-Skill oder die
Key-Qualifications. Auch diese sind unabhängig von der Aufgabe erwünscht.
Wenn alle Antwortmöglichkeiten bewertet sind, ergeben sich für die Auswertung
zwei Aspekte:
Zum einen, für jede untersuchte Eigenschaft, das Mittel aus den
relevanten Antworten. Die Werte werden in ein Diagramm eingetragen, wo sie
dann eine Zickzack-Kurve bilden. Diese Art der Auswertung ist aus psychologischen Tests
hinreichend bekannt.
Darüber hinaus lässt sich aber auch die Variabilität der
Handlungsfähigkeit darstellen. Dies sagt aus, wie flexibel der Kandidat diese
seine Eigenschaft handhabt oder wie sehr er darauf fixiert ist. Diese Betrachtungsweise
ist besonders interessant.